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"Herr und Frau Mustermann - fotografische Illustrationen als Synonym für eine neue Zeit" ...Die Künstlerin kombiniert verschiedene elektronisch lesbare und biometrisch genormte Passfotos, wie sie auf Ausweisen und Karten für die Bank, für die Kr

MARTINA KALABA

EINE PIONIERIN DER DIGITALEN FOTOGRAFIE

 

Ein wesentliches Merkmal der zeitgenössischen, meistens als "postmodern" klassifizierten Kunst ist die Vermischung und Verschmelzung der Herstellungstechniken und -mittel. Längst arbeiten die Maler und Zeichner nicht mehr nur mit Pinsel, Feder und Stift, sondern nehmen für sich vielfältige Instrumente und Materialien aus dem technischen und elektronischen Bereich in Anspruch. Zur klassischen Staffelei kommen bei den Künstlern der Gegenwart Fotoapparate, Video- und Filmkameras und vor allem Computer mit ihren vielfältigen digitalen Anwendungsmöglichkeiten hinzu.

 

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MARTINA KALABA

EINE PIONIERIN DER DIGITALEN FOTOGRAFIE

 

Ein wesentliches Merkmal der zeitgenössischen, meistens als "postmodern" klassifizierten Kunst ist die Vermischung und Verschmelzung der Herstellungstechniken und -mittel. Längst arbeiten die Maler und Zeichner nicht mehr nur mit Pinsel, Feder und Stift, sondern nehmen für sich vielfältige Instrumente und Materialien aus dem technischen und elektronischen Bereich in Anspruch. Zur klassischen Staffelei kommen bei den Künstlern der Gegenwart Fotoapparate, Video- und Filmkameras und vor allem Computer mit ihren vielfältigen digitalen Anwendungsmöglichkeiten hinzu.


Malerei und Fotografie werden nicht mehr als Gegensätze betrachtet, sondern miteinander verbunden und oft sogar als parallele Gestaltungsmittel in ein und demselben Kunstwerk eingesetzt. Repräsentativ für diese neue Richtung sind die Arbeiten der in Rosenheim lebenden und arbeitenden Künstlerin Martina Kalaba. Sie "malt" nicht mehr mit Pinsel und Farbe, sondern vor allem mit den Mitteln der Fotografie und der digitalen Bearbeitung am Computer. Die Fotokünstlerin hat sich zunächst einen Namen als Industrie- und Unternehmensfotografin gemacht. Im Auftrag großer Unternehmen, unter ihnen mehrere“ global player“, fotografiert sie Maschinen, Fabrikanlagen, Industriebauten, Fließbänder und ganze Produktionsabläufe. Sie ist sicher technikbegeistert, aber ihre Bilder sind niemals menschenleer. Die industrielle Produktion ist in ihren Augen kein Selbstzweck, sondern steht im Dienste des Menschen. Sie wächst dem Menschen nicht über den Kopf, sondern wird von ihm beherrscht.


Martina Kalaba hat auch immer wieder Manager, Industriebosse und Wirtschaftsführer porträtiert. Sie hat dabei auf die in Werbebroschüren typische Denkerpose verzichtet und versucht, anstelle eines Rollenbildes einen Menschen mit all seinen Facetten, mit seinen Licht- und Schattenseiten darzustellen. Ihre Unternehmerporträts sind keine "big bosses", sie sind weder Über- noch Untermenschen, sondern tragen menschliche Züge. Martina Kalaba benutzt eine andere Perspektive als in der Branche üblich, sie geht näher an die Personen heran und präsentiert sie aus der Nähe, auf Augenhöhe, ohne sie bloßzustellen.


Als Fotografin arbeitet sie eher mit bescheidenen Mitteln, sie kommt ohne Studio und aufwendige Blitzanlagen aus. Statt auf modernste Fototechnik verlässt sie sich lieber auf ihr Augenmaß. Statt siebzig Mal auf den Auslöser zu drücken, schaut sie lieber sieben Mal genau hin und macht dann ihre Aufnahme. In einem ausführlichen vom Bayrischen Fernsehen im Juli 2012 ausgestrahlten Wirtschaftsgespräch hat die Künstlerin über ihre Arbeitsweise berichtet. Sie hat darin deutlich gemacht, wie schwierig es ist, sich auf einem Arbeitsfeld, dessen Normen wesentlich von der Werbung geprägt werden, seine unabhängige Sichtweise zu bewahren. "Originalität", sagt Martina Kalaba, "ist in der knallharten Welt des Kommerzes nicht sehr gefragt. Verlangt werden stattdessen stromlinienförmige Anpassungsfähigkeit und Trendbewusstsein." Mit ihrem Leitspruch "Ich sehe das anders" sei sie bei ihren Auftraggebern immer wieder angeeckt. Man muss nicht hinzufügen, dass sie es als Frau in einem immer noch männlich, wenn nicht patriarchalisch dominierten Arbeitsbereich doppelt und dreifach schwer hatte, sich durchzusetzen und sich ihren Platz zu erstreiten: "Ich habe gelernt, mich durchzubeißen. Ich bin meinen Weg gegangen, weil ich diesen eigenen Weg gehen musste. Ich bin keinem fremden Idol gefolgt, ich habe nur dem eigenen Ideal nachgeeifert." So wurde sie zur Pionierin der digitalen Fotografie.


Martina Kalaba ist nicht über eine handwerkliche Ausbildung zur Fotografie gekommen, sondern auf dem Königsweg über eine  renommierte Kunsthochschule. Mit 19 Jahren begann sie ihr Studium an der Münchener Akademie der Bildenden Künste. Ihren akademischen Studien verdankt sie Grundkenntnisse  und -fertigkeiten in allen bildkünstlerischen Disziplinen und einen "ausgebildeten" Sinn für ästhetische Reize und Wirkungsmöglichkeiten. Nach einem dreijährigen Studium drängt sie hinaus in die Welt und versucht sich als freie Künstlerin. Sie lässt sich zeitweilig in Los Angeles nieder, arbeitet als Schauspielerin  und  beschäftigt sich immer intensiver mit der Fotografie. Sie bekommt erste Aufträge von Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen in den USA und in Deutschland. Sieben Jahre lang fliegt sie im Dienste einer großen deutschen Fluglinie kreuz und quer um die ganze Welt. Sie lernt viele und interessante Menschen kennen, wenn auch nur flüchtig, aber je weiter sie von ihrer bayrischen Heimat und ihren familiären Wurzeln entfernt ist, desto einsamer fühlt sie sich. "In diesem Lebensabschnitt des ständigen Orts-und Zeitenwechsels wird die Kamera zu meiner treuesten Begleiterin", berichtet die Künstlerin. " Sie hält meine Reisestationen fest, aber sie beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung der oft exotisch wirkenden Außenwelt, sondern erlaubt mir einen Blick in mein Inneres. An dem, was ich fotografiert habe und wie ich es aufgenommen habe, erkenne ich, wie es mir in meinem Inneren zumute war."


Auf die Dauer findet Martina Kalaba in der Unternehmensfotografie keine Erfüllung ihrer künstlerischen Ambitionen. Sie möchte frei sein und ihrem Gestaltungsdrang freien Lauf lassen. Sie arbeitet an sich selbst, sie experimentiert und testet ihre Grenzen aus und entdeckt am Computer neuartige Ausdrucksmöglichkeiten. Sie arbeitet digital, verlässt den Bereich der gegenständlichen Abbildung und nähert sich abstrakten Darstellungsformen an. Vor ihren Augen entstehen zunächst auf dem Bildschirm gänzlich neue, faszinierende und vielfarbige Bildwelten. Die Künstlerin kann ihre Fotografien nach Belieben und immer mehr nach den Eingebungen ihrer künstlerischen Inspiration verkleinern oder vergrößern, kann sie verdoppeln und vervielfachen, kann sie drehen und wenden, kann sie überlappen, überlagern oder ineinander verfließen lassen. Alles scheint möglich. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.


Martina Kalabas Fotophantasien bilden nicht mehr die Außenwelt ab, sondern widerspiegeln die innere Kehrseite der äußeren Erscheinungswelt. Nicht zufällig erinnern ihre Fotokunstwerke immer wieder an Aufnahmen aus dem Körperinneren, an Röntgenbilder, Elektrokardiogramme oder Computertomografien. Ihre Innenaufnahmen sprechen seelische und tiefenpsychologische Empfindungen des Menschen an, unsere Urängste, aber auch unsere Sehnsucht nach Licht, Liebe und Erfüllung. Die Künstlerin hat die Bildsprache der visuellen Kommunikation um eine neue Dimension erweitert. Sie hat verstörende Bilder geschaffen, aber auch erhellende und erheiternde Bilder, digitale Gemälde, die zum Nachdenken anregen oder aufgrund ihrer Leuchtkraft unser Herz erfreuen. "Das Medium der digitalen Fotografie", erklärt Martina Kalaba, "erlaubt mir, Augenblicke und Erfahrungen festzuhalten und sie weiter zu bearbeiten und zu verarbeiten. Ich setze meine Kunst ein, um mein eigenes Wesen, meine Gefühle und Überzeugungen intuitiv und kreativ in neue Bilder zu verwandeln." Dass sich diese von ihr entwickelte Kunstform auch gesellschafts- und zeitkritisch einsetzen lässt, zeigt ihre aktuelle Serie "Herr und Frau Mustermann - fotografische Illustrationen als Synonym für eine neue Zeit". Die Künstlerin kombiniert verschiedene elektronisch lesbare und biometrisch genormte Passfotos, wie sie auf Ausweisen und Karten für die Bank, für die Krankenkasse oder das Fitnesscenter vorgeschrieben sind, und entwickelt so ein beklemmendes Abbild des gläsernen Menschen, wie er von Behörden und Betrieben allerorten angestrebt wird. Dieses Zerrbild nimmt dem einzelnen Menschen seine Einmaligkeit, seine Individualität und seine Humanität, es erniedrigt ihn zum bloßen Datenträger, zum Kontoinhaber, zum Krankheits- oder zum Sozialfall.


Martina Kalaba ist es gelungen, mithilfe ihrer digitalen Fotografie zeichenhafte Bildwerke zu schaffen, in denen die Bedrohung unseres Menschenbildes für jedermann kenntlich wird.

 

Dr. PETER SCHÜTT